Geschichte der Schweiz by Reinhardt Volker
Autor:Reinhardt, Volker
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406671135
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-28T05:00:00+00:00
8. Die Zeit der Villmerger Kriege (1656–1712)
In der Niederschlagung der Empörung gegen eine gottgewollte Obrigkeit noch einig, sollten die eidgenössischen Orte schon drei Jahre später untereinander einen blutigen Krieg austragen. Anlässe und Abläufe dieses Konflikts spiegeln wider, wie anfällig, ja zerbrechlich das Bundesgefüge inzwischen geworden war.
Im September 1655 flohen 32 Personen reformierten Glaubens aus dem schwyzerischen Arth nach Zürich. Daraus wurde rasch ein Religions-Politikum ersten Ranges, da sich beide Orte den Bruch eidgenössischer Verträge vorwarfen: die Schwyzer den Zürchern die freundliche Aufnahme von Landesverrätern, die Zürcher den Schwyzern die Verweigerung des freien Abzugsrechts Andersgläubiger. In einem Klima gewachsenen Misstrauens wurden daraus Feindbilder und Handlungsnotstände abgeleitet. So pries die Zürcher Geistlichkeit die Flüchtlinge als eine von Gott erwählte Gemeinde; ihr ebenso wie ihren unterdrückten Glaubensbrüdern in der Diaspora tatkräftige Unterstützung angedeihen zu lassen, sei eine heilige Pflicht. Und auch für weniger fromme Entscheidungsträger wurden den Krieg rechtfertigende Argumente bereitgestellt. So hob der Zürcher Bürgermeister Johann Heinrich Waser hervor, wie unhaltbar die politischen Zustände der Eidgenossenschaft mit ihren vielfältigen inneren Hemmnissen geworden seien – und wie dringlich daher ein grundlegender Umbau des Bundes sei. Dass diese Pläne nur gewaltsam gegen die Inneren Orte durchgesetzt werden konnten, verstand sich von selbst.
In den staatsrechtlichen Disputen gingen die Einschätzungen ebenfalls weit auseinander. Die Zürcher Juristen beriefen sich darauf, dass die Rechtsnormen des Bundesgeflechts den Handlungsspielraum der einzelnen Glieder einschränkten, während Schwyz die Gegenposition vertrat; das bedeutete für beide Seiten eine vollständige Umkehr der zweihundert Jahre zuvor vertretenen Standpunkte. Dahinter standen unterschiedliche Vorstellungen von Recht und Gerichtsverfahren im allgemeinen. Während in den ländlichen Gegenden der Innerschweiz für die soziale Basis der Großfamilie wie für die Politik Schiedsgerichtsverfahren bestimmend waren, mittels derer Recht in einem offenen Prozedere gefunden werden sollte, schritt in den Städten die Anwendung des viel differenzierteren römischen Rechts voran. Im konkreten Konfliktfall schlugen sich diese Kontraste darin nieder, dass Schwyz den Zürcher Antrag, die Affäre in einem eidgenössischen Rechtsverfahren auszutragen, als unzulässige Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurückwies. Vor diesem Hintergrund hatte die Propaganda beider Seiten leichtes Spiel. Sie malte Bedrohungsszenarien aus und berief sich auf eidgenössische Grundwerte, die dem Gegner zusammen mit der Ehre abgesprochen wurden. Der Krieg erschien so als das einzige Mittel, um die gestörte Ordnung wiederherzustellen.
Ihn entschieden die katholischen Orte mit ihren solddiensterprobten Offizieren gegen ein schlecht organisiertes Aufgebot Zürichs und Berns rasch für sich. In der Schlacht von Villmergen am 24.Januar 1656 erlitt die reformierte Seite eine vernichtende Niederlage; sie wurde nicht nur durch geringe Kampferfahrung, sondern auch durch die Uneinigkeit zwischen politischer und militärischer Führung verursacht. Der blutige Kampf der Eidgenossen untereinander bot den harten Kern für rasch zirkulierende Gräuelberichte, die den katholischen Siegern bestialische Grausamkeit vorwarfen; diese sahen ihren Triumph als Lohn ihrer Glaubenstreue an. Die Gemeinsamkeiten waren erschöpft wie selten, die neutralen Orte Basel, Freiburg, Schaffhausen und Solothurn sowie der französische Botschafter hatten schwierige Vermittlungsarbeit zu leisten. Doch fiel der am 7.März 1656 geschlossene Friede wiederum moderat aus, bestätigte er doch im wesentlichen die bestehenden Verhältnisse – und damit explizit den Schwyzer Standpunkt, dass die einzelnen Orte ohne Einschränkung souverän seien.
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